KOLLABORATIVE, KOLLEKTIVE, AKTIVISTISCHE ANSÄTZE IN KÜNSTLERISCH-ÄSTHETISCHEN PRAKTIKEN DER COMMUNITY ARTS. ENTWICKLUNG UND UMSETZUNG EINES FORSCHUNGSPROJEKTS

Community versprechen

Şeyda Kurt

Community. Der Begriff ist mir verdächtig. Er ist mir verdächtig in seiner Omnipräsenz. In den vergangenen Jahren begegnete er mir häufig, zu häufig. Nicht nur in neoliberalen Marketingratgebern und Werbeslogans. Sondern auch in politischen Diskussionen, auf Demos, in Streitschriften oder auf Instagram.

In letzterem Kontext frage ich: Wer soll das sein, diese Community? Sprechen Menschen in anti-rassistischen, (queer)feministischen Kontexten über Communities, soll der Begriff häufig ein Kollektiv beschreiben, das undefiniert und definiert zugleich ist. Es besteht aus Menschen, die – wie die sprechende Person – rassifiziert, weiblich oder queer sind. Die Annahme ist in diesem Falle: Die Dominanzgesellschaft schließt uns aus – qua Herkunft, qua Hautfarbe, qua Geschlecht – und somit stehen wir auf derselben Seite der Barrikade.

Diese Barrikade kann lebensnotwendig sein. Sie kann ein Akt der Notwehr gegen die Gewalt der Mehrheit sein. Doch die Barrikade ist zerbrechlich, wenn sie sich darauf ausruht. Mehr noch: Sie wird selbst zur Gefahr. Denn um die Barrikade aufrecht zu erhalten, braucht es einer gemeinsamen Bewegung. Und in diesem Falle wird die Bewegung aus einer vermeintlich gemeinsamen Identität heraus mobilisiert, aus einer vermeintlichen Gleichheit oder Ähnlichkeit des Seins. Nur gleicht sich weder jede Erfahrung von Rassismus, noch ist jede queere Person in gleicherweise gefährdet.

Ich verdächtige den Begriff der Community, der Harmonie der Gemeinsamkeit willen Homogenität zu fordern. Denn Identität als ein Marker der Zugehörigkeit geht mit der Vorstellung einer Ganzheit einher. Ich verdächtige den Begriff der Community, nichts zu erwarten. Denn die Zugehörigkeit ist zwar bedingt durch Herkunft oder Geschlecht. Doch sie ist zugleich bedingungslos. Sie stellt keine Erwartungen, weil Menschen in ihrem Handeln keine Bedingung zu erfüllen brauchen, um dazu zu gehören. Sie müssen nur (gewesen) sein. Ich verdächtige den Begriff der Community damit, in der Vergangenheit verhaftet zu sein. Er fragt zu oft: Was brachte uns einst zusammen? Und er fragt zu selten: Was werden wir gemeinsam haben? Was können wir werden?

Doch ich will mich nicht mit einem Verdacht begnügen. Denn verdächtig macht sich nicht allein ein Begriff, sondern seine Gestalt, die er als Ergebnis kollektiver Praxis annimmt. Und diese Gestalt kann sich ändern. Eine Community muss weder eine Marketingfloskel noch eine identitätsbezogene Zweckgemeinschaft sein. Community, was könnte das bedeuten?

Ich nähere mich dem Wort, seinem ersten Baustein: com, der lateinische Begriff für mit, gemeinsam, zusammen, zugleich. Die Bedeutungen sind so banal wie heikel, so reduziert wie weit, so definiert wie undefiniert. Ich denke an andere Wörter: an Computer, Kommunismus, Kommune, Kommunard*innen, an Comrades – Genoss*innen. An letzteres denke ich, weil das gleichnamige Buch der US-amerikanisches Politikwissenschaftlerin Jodi Dean auf meinem Nachttisch liegt.

Als Genoss*innen bezeichnete ich früher Menschen, mit denen ich gemeinsam organisiert war und organisierte – in linken, kommunistischen, migrantischen Vereinen und Verbänden. Wir organisierten gemeinsam Workshops, Camps und Demonstrationen. Irgendwann ging mir der Begriff verloren, er schien mir zu männlich, zu altbacken, zu antiemanzipatorisch. Jodi Dean will ihn aus dieser Versenkung herausholen und neu kleiden, als Werkzeug im politischen, emanzipatorischen Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung. Dean fragt nach dem Potenzial des Begriffs, Menschen zu mobilisieren. Das Wort comrade verweise auf ein politisches Verhältnis, eine Reihe von Handlungserwartungen und auf ein gemeinsames Ziel, schreibt Dean: „Es unterstreicht die Gleichheit (sameness) der Menschen auf derselben Seite – so unterschiedlich sie auch sind.“

Der Modus der Erwartungshaltung ist hier ausschlaggebend: Menschen würden durch soziale und geografische Nähe nicht nur eine „Emotionsintensität“ teilen, so Dean, sondern auch eine Solidaritätserwartung: „Genossenschaftlichkeit (comradeship) ist ein politisches Verhältnis stabilen, dauerhaften Schutzes. Das Konzept „Genosse“ interessiert mich als Modus der Ansprache, als Träger von Erwartungen und als Symbol der Zugehörigkeit in den kommunistischen und sozialistischen Traditionen; ich begreife den Genossen als allgemeine Chiffre für das politische Verhältnis von Menschen auf derselben Seite einer politischen Barrikade.“

Die Bewegung, die die Barrikade aufrechterhält, soll sich nicht also nicht (nur) aus einer gemeinsamen Identität mobilisieren, sondern aus dem Ausdruck des freien Willens, aus einer Handlung, der eine politische Überzeugung und Entscheidung vorausgeht. Einen Menschen als Genoss*in anzusprechen, erinnere das Gegenüber daran, dass man etwas von ihm erwarte, so Dean. Das com als Moment des Gemeinsamen und Zugehörigkeit erwächst in diesem Falle nicht zwangsläufig aus einer gemeinsamen Identität oder Geschichte – auch wenn jene Erfahrungsweisen sie zusammengebracht haben kann – sondern als Gemeinschaft aus einer politischen Überzeugung. Und mehr noch: als Zustand eines Versprechens. Nicht allein die Vergangenheit und Gegenwart hält die Barrikade aufrecht, auf deren einer oder anderen Seite diese Menschen sich versammeln. Sondern auch die Zuversicht und Erwartung, dass die anderen diese nicht aufgeben werden. Diese Menschen haben sich füreinander verantwortlich gemacht.

Ein Versprechen, das sich Menschen im Vertrauen und Einvernehmen geben, ist der Kern einer politischen Vision. Die Macht des Worts „Genosse“ ergebe sich daraus, dass es alte Beziehungen negiere und neue verheiße, meint Dean: „Das Versprechen selbst bringt sie hervor und heißt den neuen Genossen in Verhältnissen willkommen, die sich aus dem gesellschaftlichen Umfeld nicht ableiten lassen.“

Und selbstverständlich kann auch dieses Versprechen verdächtigt werden. Es muss immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Doch denke ich das Konzept von Comradeship nach Jodi Dean und den Begriff Community zusammen, beschreibt dann das ihnen gemeinsame com nicht länger eine Gemeinschaft aus Angst, eine Gemeinschaft der Gleichheit und Ähnlichkeit, eine Zweckgemeinschaft für das blanke Überleben, keine Menschen, die sich nur über ihre gemeinsame Vergangenheit und Zukunft definieren. Sondern als eine Gruppe von Menschen, die sich und einander fragt, was sie gemeinsam sein könnten – eine Bündnis, das sich einander verspricht. Und sich mit diesem Versprechen zu weiteren gemeinsamen Handlungen bewegt. Damit die Barrikade hält.


Şeyda Kurt ist freie Journalist*in und Autor*in und spricht und schreibt über linken Feminismus, Philosophie, Kultur(politik) und Innenpolitik. Als Redakteur*in arbeitete sie an dem Spotify Original Podcast "190220 - Ein Jahr nach Hanau", der 2021 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde. Im April 2021 erschien ihr Sachbuch-Bestseller "Radikale Zärtlichkeit - Warum Liebe politisch ist" bei HarperCollins Germany. Şeyda Kurt studierte Philosophie, Romanistik und Kulturjournalismus in Köln, Bordeaux und Berlin.

Die Texte “Community versprechen” von Şeyda Kurt, “[kəˈmjuːnɪti]” von Sinthujan Varatharajah und “Havin Al-Sindy Kras û Fistan – Eine literarische Annäherung” von Karosh Taha gehören zu einer ursprünglich als Printmedien geplante Publikationsserie, die durch die Mitarbeit von Fatima Khan als Herausgeberin realisiert werden kann.

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